Wildhexe – Das Labyrinth der Vergangenheit by Lene Kaaberbøl

Wildhexe – Das Labyrinth der Vergangenheit by Lene Kaaberbøl

Autor:Lene Kaaberbøl
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-03-16T16:00:00+00:00


11 OSCARS GESCHICHTE

»Das Licht wurde total komisch«, sagte Oscar. »Irgendwie … düster und trotzdem scharf. Und dann wurde es so warm, dass deine Mutter dachte, mit dem Auto wäre was nicht in Ordnung. Wir waren noch nicht sehr weit gekommen, nicht mal ganz auf der Autobahn, aber sie ist trotzdem rechts rangefahren. Und das war gut so, weil kurz danach ein Windstoß kam, der … vor uns fuhr ein kleines blaues Auto, das wurde einen halben Meter in die Luft gehoben, bevor es wieder landete, mehr oder weniger in der Leitplanke. Und dann kam eine gigagroße Krähe angeflogen und knallte in die Frontscheibe. Also beim Volvo … Bang. Jede Menge Federn und Blut und so. Da war ein Müllcontainer, so ein großer grüner, du weißt schon, der einfach vor uns durch die Luft segelte. Und so ging es weiter. Deine Mutter sagte, wir sollten im Auto bleiben, und sie versuchte, das Radio einzuschalten, aber da kam anfangs nur Rauschen und dann brach vor uns ein Laternenmast einfach in der Mitte durch und kippte mit einem Krachen auf die Straße. Total abgefahren. Aber das Abgefahrenste war … das alles passierte nur entlang der Straße. Ich saß in diesem Auto und schaute nach unten in einen Garten auf der anderen Seite der Lärmschutzwand, und da stand eine Frau mit ihrer Wäsche und starrte mit großen Augen zur Straße hoch. Und die wurde nicht umgeworfen. Nicht mal die Laken an ihrer Wäscheleine haben besonders geflattert.«

»Wann war das?«, fragte ich.

»Gerade als wir aus dem Krankenhaus losgefahren waren.«

»Ja, aber wann am Tag?«

»Keine Ahnung. Gegen Mittag, denke ich.«

Zeit war mehr als nur Zeit, wenn die Wilden Wege im Spiel waren, aber soweit ich es ausrechnen konnte, hatte sich das alles zeitgleich mit dem Rabensturm ereignet.

»Der Vogel«, sagte ich, »könnte das ein Rabe gewesen sein?«

»Ich denke schon«, meinte Oscar. »Er war auf jeden Fall groß. Aber es war nicht nur der eine. Alle Vögel sind total durchgedreht. Sie flogen immer weiter in den Wind, als ob sie es nicht lassen könnten. Die konnten ihre Bahn überhaupt nicht steuern, sie wurden einfach mitgerissen und knallten die ganze Zeit gegen irgendwelche Autos. Lebende und tote Vögel. Total creepy, wie im Horrorfilm: Angriff der Zombie-Vögel! Aber ich glaube, es hat gar nicht so lang gedauert, bis der Wind plötzlich aufhörte. Bumm. Als hätte ihn jemand ausgeschaltet. Da ging auch das Radio wieder. Aber wir konnten nicht einfach weiterfahren, die Autobahn war gesperrt, weil sie Angst hatten, irgendwelche Brücken könnten einstürzen. Und zwar nicht nur da, wo wir waren, sondern überall. Totales Chaos. Die Leute kamen nicht vor und nicht zurück, und es wurden Suppenküchen und Schlafstätten in Turnhallen eingerichtet. Alle möglichen Meteorologen versuchten Erklärungen zu finden, einer hat von Sonnenflecken geredet, ein anderer hat behauptet, das Straßennetz hätte wie eine Art Windkanal gewirkt. Aber man hat ihnen total angemerkt, dass sie selbst auch nicht kapierten, was passiert war, und trotzdem irgendwas sagen mussten.«

Inzwischen lag meine Mutter auf dem Sofa, aber immer noch vollkommen reglos. Und Oscar hatte bisher mit keinem Wort erklärt, was ihr zugestoßen war.



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